Archiv für September 10, 2013

Flut-Opfer kämpfen noch immer mit den Folgen

Veröffentlicht: September 10, 2013 von fluthelfer in Halle

Auf den ersten Blick scheint wieder alles in Ordnung. Das Wasser ist weg, die Straßen sind aufgeräumt. Doch es gibt noch viel zu tun. Viele Wohnungen in der halleschen Talstraße stehen noch heute leer. Einige Anwohner werden wahrscheinlich niemals zurückkehren.

Bernd Hanschke hat Angst vor dem Winter. Denn seitdem seine Wohnung in der halleschen Talstraße im Stadtteil Kröllwitz beim Juni-Hochwasser zerstört worden ist, müssen seine beiden Katzen Maxi und Moritz draußen im Garten leben. Ob sie die Katzenklappe in die Wohnung nutzen, weiß der 71-jährige Rentner nicht. „Ich hoffe es, damit die beiden im Winter nicht erfrieren“, sagt Hanschke.

Kein Ende in Sicht

In seiner derzeitigen Wohnung – Hanschke ist mit seiner Frau bei einer Bekannten untergekommen – ist einfach nicht genug Platz für die beiden Haustiere. Doch ein Ende dieses Schicksals ist nicht abzusehen. Denn die Eigentumswohnung des ehemaligen Arztes gleicht einem Rohbau. Der Putz von den Wänden ist ab, die Fußböden sind rausgerissen, Fliesen und die Verkleidungen im Badezimmer abgeschlagen. Auch die Fenster müssen ausgetauscht werden.

„Das wird alles noch bis zum Beginn des nächsten Jahres dauern“, sagt der Architekt und Bausachverständige Thomas Lebek. Eine niederschmetternde Aussicht für Hanschke. Und dennoch: Er will in der Talstraße weitermachen und spricht sich selbst Mut zu. „Das war das erste Mal in hundert Jahren, dass das Wasser so hoch stand.“ Mehr als einen Meter stand das Wasser in der Straße, Hanschke wurde zusammen mit seiner Frau von der Feuerwehr mit dem Schlauchboot aus dem Hausflur abgeholt.

Überbleibsel werden beseitigt

Drei Monate danach ist in der Talstraße auf den ersten Blick vom Hochwasser kaum noch etwas zu sehen. In den Vorgärten liegen keine Möbel oder Bauschutt. Die Häuserfassaden sehen wieder normal aus, der charakteristische Wasser- und Schlammrand ist nicht mehr zu erkennen. Der Spielplatz am Ende der Straße, die nach Auskunft von Immobilienmaklern zu den besten Wohngegenden in Halle gehört, hat neuen Sand bekommen.

Und dennoch: In der Talstraße wie in vielen anderen vom Hochwasser betroffenen Wohngebieten in Sachsen-Anhalt ist das Leben noch nicht wieder zurückgekehrt – wie wenige Schritte von Hanschke entfernt. In der Hochparterre-Wohnung des Mehrfamilienhauses lebte vor dem Hochwasser eine junge Familie mit ihrer Tochter. Dann kam plötzlich die Saale und sie mussten ihre Wohnung verlassen. „Zunächst sind wir in eine Ferienwohnung gezogen, aber da mussten wir nach einer Woche wieder raus“, sagt die junge Mutter, die ihren Namen nicht in der Zeitung lesen will. Nun wohnt die Familie seit drei Monaten in einem halleschen Hotel. Beengt, ohne eigene Küche, nur mit wenigen Spielsachen für die kleine Tochter. Immerhin zahlt der Vermieter über seine Versicherung die Kosten für den Aufenthalt. „Klar ist das eine belastende Situation“, sagt sie: „Wir zählen die Tage, bis wir wieder zurück in unsere Wohnung können.“

Suche nach neuem Heim beginnt

Anfang Oktober soll es so weit sein, wenn nichts mehr dazwischen kommt. Doch für lange Zeit soll der Einzug in die sanierte Wohnung nicht mehr sein. „Wir suchen jetzt verstärkt nach einem Eigenheim“, sagt die Hallenserin. „Und das in jedem Fall nicht in einem hochwassergefährdeten Gebiet.“

Die Familie ist nicht die einzige in der Talstraße, die diese Konsequenz gezogen hat. Auch die Nachbarn von Bernd Hanschke sind ausgezogen. Und gegenüber der schon vollständig sanierten Gaststätte „Krug zum Grünen Kranze“ klebt an dem Briefkasten der Firma „aRES Datensysteme“ ein Zettel: „Wir sind jetzt in der Willy-Brandt-Straße.“ Die liegt weit weg von der Saale in der südlichen Innenstadt von Halle. Dort hat die Firma am 1. August ihr neues Domizil gefunden, nach drei Jahren in der Talstraße. „Klar war die Umgebung mit der Saale und dem vielen Grün dort sehr schön, aber es ging nicht. So ein Hochwasser kann jedes Jahr wieder passieren“, sagt Mitarbeiter Peter Müller.

Und er weiß nur zu gut, was das bedeutet. Als das Wasser Anfang Juni kam, hat er zusammen mit einem Kollegen in einer dramatischen Aktion die Computer der Software-Firma gerettet. „Wir haben uns die Rechner unter den Arm geklemmt und haben sie über eine Mauer hinter unserem Haus in Sicherheit gebracht“, erzählt er. Dennoch blieb für die Firma ein großer Schaden, mehrere Wochen waren die sieben Mitarbeiter kaum handlungsfähig. Gerade in der IT-Branche, in der es auf Schnelligkeit ankommt, eine Katastrophe.

Anwohner wollen weg

Dass mehrere Anwohner der Talstraße mit dem Gedanken wegzuziehen spielen, weiß auch Bewohnerin Jutta Jansky. „Es tut sich zwar viel in der Straße, aber es dauert eben bei vielen Wohnungen einfach sehr lange“, sagt die 69-Jährige. Sie selbst wohnt im zweiten Stock und war so kaum vom Hochwasser betroffen. Bei vielen sei sicher im Hinterkopf, dass das Wasser schnell wieder kommen könnte. Dabei deutet sie auf die Einfamilienhäuser auf der gegenüberliegenden Seite, in denen sich nach ihrer Aussage bisher kaum etwas getan hat. „Die überlegen eben noch, ob es für sie hier weitergeht.“, sagt Jansky.

Gerade für Eigentümer ist die Situation schwierig. Schließlich müssen sie für Teile der Sanierung selbst aufkommen – wie Bernd Hanschke. Insgesamt rund eine Viertelmillionen Euro wird die Beseitigung der Schäden kosten. Den größten Teil davon trägt die Versicherung, aber nicht alles. „Wenn hier schon saniert wird, dann müssen auch andere ohnehin notwendige Reparaturen erledigt werden“, sagt er. Denn wer will schon in ein frisch saniertes Badezimmer eine fünfzehn Jahre alte Badewanne einbauen. Das alles dauerte seine Zeit, auch weil alle Rechnungen bei der Versicherung mühsam auseinandergehalten werden müssen. Deswegen sagt Hanschke ein bisschen ironisch: „Ich hoffe, dass ich den Einzug noch erlebe. In meinem Alter weiß man ja nie.“

Quelle: mz-web.de

Die Elbe versteckt sich hinter den Fliesen / „Viele Elbanrainer sind in die oberen Etagen gezogen“

Minden/Diepenau. Eigentlich ist das Wasser seit zwölf Wochen weg. Wenn Mark Schwarze kommt, ist es plötzlich wieder da.

Der Projektleiter der Firma ASW-Schadenbeseitigung muss derzeit vielen Elbanrainern sagen, was sie nicht hören wollen: Dass ihre Wohnung zwar sauber aussieht, die Bauarbeiten aber trotzdem erst anfangen. Schwarze gehört zu denen, die kommen, wenn die Laune gerade richtig im Keller ist. Der Diepenauer kümmert sich um Schimmelbeseitigung, Leckortung und Bautrocknung. Er wird bei Problemen in Abwasserleitungen und Rohrbrüchen angerufen und muss dann so Dinge sagen wie: „Die Fliesen müssen alle raus, hinter der Wand sitzt noch Feuchtigkeit.“ Dass er damit selten auf Begeisterungsstürme trifft, weiß der 29-Jährige. Trotzdem seien die Menschen meist froh, dass sich jemand kümmere.

Derzeit beschäftigt sich der Projektleiter mit Schäden, die jeden Wasserrohrbruch zur Kleinigkeit werden lassen. Mark Schwarze und seine Kollegen ziehen wie viele andere Aufräumtrupps durch die Elbdörfer, um aufzubauen, was das Wasser zerstört hat. Im Auftrag der Versicherungen begutachten sie Schäden, schlagen Fliesen von den Wänden und legen Keller und Häuser trocken.

 

11.09.2013

Vorlesen

Elbhochwasser: Handwerker aus der Region immer noch im Hochwasser-Einsatz
Die Elbe versteckt sich hinter den Fliesen / „Viele Elbanrainer sind in die oberen Etagen gezogen“
VON NINA KÖNEMANN

Minden/Diepenau (mt). Eigentlich ist das Wasser seit zwölf Wochen weg. Wenn Mark Schwarze kommt, ist es plötzlich wieder da.

Immer noch im Hochwasser-Einsatz: Mark Schwarze (l.) und seine Kollegen Simone Klusmeyer und Eduard Teichrieb vertreiben die Elbe aus den Häusern. | Foto: Alex Lehn
Der Projektleiter der Firma ASW-Schadenbeseitigung muss derzeit vielen Elbanrainern sagen, was sie nicht hören wollen: Dass ihre Wohnung zwar sauber aussieht, die Bauarbeiten aber trotzdem erst anfangen. Schwarze gehört zu denen, die kommen, wenn die Laune gerade richtig im Keller ist. Der Diepenauer kümmert sich um Schimmelbeseitigung, Leckortung und Bautrocknung. Er wird bei Problemen in Abwasserleitungen und Rohrbrüchen angerufen und muss dann so Dinge sagen wie: „Die Fliesen müssen alle raus, hinter der Wand sitzt noch Feuchtigkeit.“ Dass er damit selten auf Begeisterungsstürme trifft, weiß der 29-Jährige. Trotzdem seien die Menschen meist froh, dass sich jemand kümmere.

Derzeit beschäftigt sich der Projektleiter mit Schäden, die jeden Wasserrohrbruch zur Kleinigkeit werden lassen. Mark Schwarze und seine Kollegen ziehen wie viele andere Aufräumtrupps durch die Elbdörfer, um aufzubauen, was das Wasser zerstört hat. Im Auftrag der Versicherungen begutachten sie Schäden, schlagen Fliesen von den Wänden und legen Keller und Häuser trocken.

Vor allem aber hören sie Geschichten und erleben Schicksale: In manchen Straßen seien fünf bis sechs Häuser nebeneinander vom Hochwasser betroffen, sagt Schwarze. Der Elbschlamm und die Feuchtigkeit haben sich tief in die Wände gefressen, sitzen hinter den Fliesen im Bad, im Keller oder in der Küche. Früher oder später bilden sie Schimmel und der ist hochgiftig. Viele Wände müssten aufgestemmt werden, sagt Schwarze. Teilweise seien noch Schäden vom Hochwasser 2002 sichtbar. „Damals war man mit der Trocknung noch nicht so weit.“

Das Problem: Viele der Bewohner sind alt, wollen ihre Häuser nicht verlassen, auch wenn manche kaum noch bewohnbar sind. Für viele ist es nicht die erste Flut. „Die Familien sind in die oberen Etagen gezogen“, sagt Schwarze. Keller und Erdgeschoss seien meist leergeräumt, manchmal stünde dort noch eine Waschmaschine oder ein Herd. Man hat sich in den Provisorien eingerichtet.

An einen Besuch erinnert sich der 29-Jährige besonders. „Eine Seniorin hat gesagt, sie macht alles selbst, sie braucht keine Handwerker“, sagt Schwarze. Die Frau sei über 70 gewesen und sehr resolut. Der Projektleiter musste Überzeugungsarbeit leisten. „Immerhin die Trocknungsgeräte durften wir später aufbauen.“

Die Seniorin steht stellvertretend für viele Menschen an der Elbe. Die Wochen des Bangens, der Arbeit und des Aufräumens haben ihre Spuren hinterlassen. Die Menschen haben es satt, auf Baustellen zu leben. „Sie wollen zur Normalität zurückkehren“, sagt Mark Schwarze. Das Geld der Versicherungen liege bereits seit Wochen auf den Konten der Geschädigten, da falle es manchmal schwer, sich zu trennen. „Nur weil man das Elbwasser nicht mehr sieht, ist es aber nicht weg“, sagt Schwarze.

Wie hoch die Elbe vor drei Monaten noch stand, erkennt der Experte am Putz. „Der ist entweder noch feucht oder schon abgeklopft.“ So trockneten die Häuser am besten. Vier Tage die Woche ist Schwarze mit den Handwerkern an der Elbe unterwegs. Auch zehn Wochen nach der Flut trudeln immer noch Aufträge ein. Bis zum Frühjahr wird das auch noch so bleiben, schätzt der Experte. Erst dann seien die letzten Keller trockengelegt.

Quelle: mt-online.de